Vorurteile sind, wie wir alle wissen, gefährlich. Ich vermeide sie soweit ich kann, muss aber zugeben, dass manche grobe Verallgemeinerungen ein Körnchen Wahrheit enthalten. Die selbstgerechte Art der Reiterwelt ist so ein Fall; sie enthält eine ganze Futterkelle von Wahrheit, nicht nur ein paar verstreute Körnchen. Es eine reiterliche Lieblingsbeschäftigung, die Reitweisen Anderer lautstark und scharf zu verurteilen. Lang nicht alle, aber trotzdem noch erstaunlich viele Dressurreiter halten die bei Westernreitern beliebten Rädchensporen für unnötige Folterinstrumente. Westernreiter sagen genau das gleiche über Reithalfter mit Sperrriemen, die in jedem Dressurstall zu finden sind. Viele Dressurreiter betrachten Westernreiter als Dilettanten, die wild durchs Gelände jagen und ihre Pferde, wenn überhaupt, durch ein lautes "Whoa!"wieder anhalten, anstatt sie durch eine fast unmerklich ausgeführte halbe Parade zum Schritt durchzuparieren. Umgekehrt pflegen Westernreiter das Karikaturbild von der Dame mittleren Alters in wurstengen Reithosen mit Ganzlederbesatz, die teures für Geld einen Hannoveraner mit Stockmass von mindestens 1,75 bezahlt hat, ihn aber nie reitet, weil sie entweder panische Angst vor ihm hat oder er immer auf irgendeinem Bein lahmgeht. Mitglieder beider Reitergruppen halten sich gegenseitig für Tierquäler, die weder von Pferden noch vom richtigen Reiten die leiseste Ahnung haben.
Meine Erfahrungen als Dressurausbilder, Westerntrainer, und Jungpferdetrainer haben mir im Lauf der Jahre ein paar sehr klare Grundsätze für den Umgang mit Pferden vermittelt. Die Überzeugung, dass eine Reitweise qualitativ besser ist als die andere gehört nicht dazu. Westernreiten hat sich im Zusammenhang mit Rinderzucht entwickelt, in Spanien, und später in Nordamerika. Westernpferde sind Arbeitspferde, was bedeutet, dass der Reiter nicht nur Reiter ist, sondern gleichzeitig noch andere Aufgaben hat, wie z.B. eine Herde Kühe von A nach B zu treiben oder ein Kalb mit dem Lasso einzufangen. Der traditionelle Westernreiter muss sich darauf verlassen können, dass das Pferd seinen Teil der Arbeit ausführt - also z.B. dem einzufangenden Kalb hinterherläuft - damit er sich auf den anderen Teil konzentrieren kann anstatt nur auf sein Pferd. Westernpferde müssen also mitdenken, Kondition haben, und die Reiterhilfen sowohl verstehen als auch prompt auf sie reagieren. Die Kommunikation zwischen Pferd und Reiter besteht aus Signalen, die das Pferd im Idealfall befolgt, wie: "Trabe jetzt bitte diesen Weidezaun entlang, bis ich dir sage, dass du einen anderen Gang einlegen sollst." . . . "Mach ich, tschüs, bis später!" Arbeit auf einer Ranch dauert oft den ganzen Tag, deswegen verteilt ein Westernsattel das Reitergewicht über eine grössere Fläche, was den Reiter ewas weiter vom Pferderücken entfernt, aber für beide Beteiligten bequemer ist.
Dressurreiten hat seinen Ursprung in der Kavallerie, wird aber schon seit Jahrhunderten als Kunstform gepflegt, z.B. an der Spanischen Hofreitschule. Dresurpferde auf diesem Niveau sind mit Tänzern zu vergleichen, oder mit Eiskunstläufern. Dressurlektionen dienen keinem erkennbaren praktischen Nutzen; nur ihre aesthetische Qualität zählt. Ein gutes Dressurpferd muss, genauso wie ein gutes Westernpferd, die Reiterhilfen verstehen und prompt auf sie reagieren. Der Unterschied besteht darin, dass Pferd und Reiter sich ausschliesslich aufeinander konzentrieren dürfen anstatt zusätzlich noch an an Lassos oder Kühe zu denken. Kommunikation zwischen Pferd und Reiter ist deswegen immer möglich; der Gesprächsstrom reißt nie ab und würde sich, auf deutsch übersetzt und wieder im Idealfall, ungefähr so anhören: "Und jetzt, pass auf" . . . "Ja, was denn?" "Gleich traben wir an!" "Bin soweit!" . . . "Gut, jetzt antraben" . . . "Toll gemacht, gleich werden wir die Richtung ändern" . . . "Klar doch!" . . . Und so weiter. Dressursättel erlauben es dem Reiter, extrem nahe am Pferderücken zu sitzen, was diese Art von Zwiegespräch erleichtert, aber auf Dauer für beide Partner ziemlich unbequem wäre.
Beide Reitweisen sind über Jahrzehnte und sogar Jahrhunderte entstanden. Sie entwickeln sich immer noch ständig weiter. Heute bilden sie vor allem die Grundlage für Turnierdisziplinen, die mit dem historische Umfeld, in dem sie entstanden sind, nicht mehr viel gemeinsam haben. Turniermässiges Reiten interpretiert die ursprünglichen Ziele beider Reitweisen neu um. Für viele Turnierreiter ist das Wohlergehen des Pferdes dabei ein übergeordneter Grundsatz. Andererseits gibt es auch weniger erfahrene Reiter, die sich gut platzieren wollen und deswegen einfach das nachahmen, was sie bei den erfolgreichen Reitern in den schwierigen Klassen beobachten oder zu beobachten meinen. Sie verstehen aber nicht wirklich, warum sie bestimmte Dinge tun.
Turnierreiten führt oft dazu, dass spektakulären Übertreibungen von Richtern belohnt werden, wie z.B. eine Trabverstärkung, in der das Pferd wild mit den Vorderbeinen strampelt, ohne den Schwerpunkt auf die Hinterhand verlegt zu haben, oder ein Sliding Stop in einer Reiningklasse, bei dem das Pferd so lange auf den Hinterbeinen schlittert, dass die zu treibende Kuh, wenn es eine gäbe, schon lang das Weite gesucht hätte. Wettkampfmässiges reiten schafft Extreme, weil eine Wettkampfatmosphäre oft die Einstellung "Mehr ist automatisch besser!" belohnt. In den Turnierregeln der AQHA steht, dass ein Pferd in einer Western Pleasure Prüfung entspannt und in ruhigem Tempo gehen sollte, was eigentlich nicht schlecht ist. Ab circa1980 sah das in der Praxis aber so aus, dass die langsamsten Pferde, die ihren Kopf am weitesten nach unten hängen liessen, die grossen Klassen auf wichtigen Turnieren gewannen. Western Pleasure wurde zu einem Wettbewerb, in dem Pferde im Schneckentempo und mit der Nase am Boden die Bande entlang krochen. Trainer spezialisierten sich darauf, jeglichen Vorwärtsdrang ihrer Pferde zu unterbinden, und Züchter produzierten "talentierte" Nachwuchspferde," was in diesem speziellen Fall bedeutete: stark überbaute Tiere mit extrem tief angesetzten Halsungen, die schon ohne Reiter immmerzu bergab zu laufen schienen. So entstand in den 90er Jahren das traurige Bild der sogenannten "Peanut Roller," das erst seit ein paar Jahren wieder langsam aus dem Turniersport verschwindet.
Trotz dieser Auswüchse, und trotz der Wettkampfatmosphäre, in der sie wie seltene Orchideen gedeihen, versuchen die meisten Turnierreiter wie auch die meisten Freizeitreiter, fair mit ihren Pferden umzugehen. Auf Dressurturnieren, Springturnieren, Westernturnieren, Distanzritten, und in Freizeitställen passiert viel schlechtes, aber auch viel gutes Reiten. Gutes Reiten beschränkt sich nicht auf eine bestimmte Art von Ausrüstung oder Tradition. Gutes Reiten bedeutet, dass Pferd und Mensch einander vertrauen und verstehen. Gutes Reiten bedeutet auch, dass das körperliche und seelische Wohl des Pferdes dem Reiter letzten Endes wichtiger sind als Turniererfolge. Aus diesem Grund bedeuten Bezeichnungen wie "Dressur" oder "Western" für mich nicht besonders viel. Ich hoffe, dass die neue Disziplin der Westerndressur sich darauf besinnt, was die Reitweisen gemeinsam haben, anstatt die Unterschiede zwischen ihnen zu betonen. Was uns trennt, ist letzten Endes nicht so wichtig wie das, was uns verbindet.
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